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Positionspapier 2024

Forderungen des KOBV Österreich zur Gestaltung der österreichischen Behindertenpolitik

  1. Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen

Das Recht auf Arbeit und Beschäftigung für Menschen mit Behinderungen ist ein zentrales Bekenntnis der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, das umfassende Diskriminierungsverbot in Beruf und Arbeit Kernpunkt des österreichischen Behindertengleichstellungsrechts. Arbeit und Beschäftigung bedeutet für die Betroffenen nicht nur eigenständige und unabhängige Lebensgestaltung, sondern auch Selbstverwirklichung und gesellschaftliche Akzeptanz und ist darüber hinaus auch aus volkswirtschaftlichen Gründen unabdingbar.

Zugang zu einer existenzsichernden Arbeit am allgemeinen Arbeitsmarkt

Ein wichtiger Schritt für die Inklusion von Jugendlichen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt war der mit Jänner 2024 umgesetzte Entfall der automatischen Arbeitsunfähigkeitsfeststellung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres. Wichtig ist es nun, dass das AMS, das Sozialministeriumservice und die Länder gemeinsam sehr rasch geeignete Maßnahmen setzen, um jungen Menschen die bestmögliche Unterstützung zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt mit den notwendigen Unterstützungsmaßnahmen zu bieten.

Die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen in Tages- und Beschäftigungsstrukturen gegen ein geringes Taschengeld ohne sozialversicherungsrechtliche Absicherung entspricht nicht den Grundsätzen der UN-Behindertenrechtskonvention. Die gerechte Entlohnung und die sozialversicherungsrechtliche Absicherung sind dringend umzusetzen. Wichtig ist es jedoch auch, geeignete Alternativen für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden und entsprechende Angebote zu schaffen und die entsprechenden Mittel zur Verfügung zu stellen. Sicherzustellen ist auch, dass es für die Betroffenen durch die Teilnahme an entsprechenden Maßnahmen nicht zu Verschlechterungen kommt.

Die von der Bundesregierung zugesagten zusätzlichen Mittel in Höhe von € 36 Mio für die Finanzierung von Projekten für die Inklusion von Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf sind ein wichtiger erster Schritt für die Umsetzung. Es müssen jedoch darüber hinaus langfristig ausreichend finanzielle Mittel für die entsprechenden Inklusionsmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden.

Teilzeitarbeit für Menschen mit Behinderungen

Ein Grund, warum Menschen mit Behinderungen in Arbeitslosigkeit gedrängt werden bzw. keinen Arbeitsplatz finden, ist, dass insbesondere Arbeitnehmer:innen, die im Laufe ihres Erwerbslebens gesundheitliche Einschränkungen und/oder Behinderungen erfahren haben, vielfach zeitlich nicht mehr voll leistungsfähig sind.

Während quantitative Leistungseinschränkungen durch die Förderungen von technischen Arbeitsmitteln, durch Lohn/Gehaltsstützungen und/oder durch Zuweisung geeigneter Arbeitsplätze ausgeglichen werden können, gibt es im Falle zeitlicher Belastungsgrenzen (eingeschränkte psychische oder physische Belastbarkeit) lediglich die Möglichkeit (so dies vom AG auch akzeptiert wird), die Arbeitszeit zu reduzieren, was für viele Betroffene aber aus ökonomischen Gründen und auch im Hinblick auf zu erwartende Pensionshöhen nicht umsetzbar ist. Daraus resultieren Zeiten vermehrter Krankenstände und/oder der Verlust des Arbeitsplatzes mit den sich daraus ergebenden persönlichen Belastungen der Betroffenen und vermeidbare Kosten für das gesamte Sozialsystem (Krankengeld, Arbeitslosengeld bis hin zur Mindestsicherung, Invaliditätspensionen, etc.).

Mit dem seit 1.7.2017 geltenden Modell der Wiedereingliederungsteilzeitvereinbarung wurde ein sehr wichtiger Schritt in die richtige Richtung gesetzt. Wermutstropfen dabei ist jedoch, dass kein Rechtsanspruch auf eine entsprechende Vereinbarung besteht und der Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung somit vom Entgegenkommen des Arbeitgebers/der Arbeitgeberin abhängig ist. Wesentlich ist es daher, ergänzend einen entsprechenden Rechtsanspruch zu normieren. Darüber hinaus ist das Modell der Wiedereingliederungsteilzeit auf maximal 9 Monate begrenzt.

Es wäre daher grundsätzlich anzudenken, entsprechende legistische Maßnahmen zu setzen, die vorsehen, dass Einkommensausfälle durch die behinderungsbedingt erforderliche Reduktion der Arbeitszeit bei Menschen mit Behinderungen kompensiert werden können, was langfristig gesehen von volkswirtschaftlichem Nutzen wäre und den Betroffenen in ihrer persönlichen Befindlichkeit (Gesundheit) und ihrer gesellschaftlichen Stellung entgegenkäme. Es könnte hier für Menschen mit Behinderungen das bereits bestehende Modell der Altersteilzeit (ausschließlich Reduzierung der Arbeitszeit) in entsprechend modifizierter Form (niedrigere Altersgrenze, zu prüfende Sachlage im Einzelfall, etc.) zur Anwendung kommen.

Auch könnte eine Möglichkeit, die im BEinstG schon einmal verankert gewesene Förderung der Beiträge zur Höherversicherung, wieder angedacht werden.

Qualifizierter Kündigungsschutz

Alternatives Modell zur Ausgleichstaxe – Behindertenbeschäftigungsbeitrag

Der qualifizierte Kündigungsschutz für begünstigte Behinderte nach dem Behinderteneinstellungsgesetz hat sich als Instrument der Arbeitsplatzerhaltung per se bewährt und muss daher unangetastet bleiben. Durch die Möglichkeit der Gewährung von Förderungen für Arbeitgeber:innen auch im Rahmen der einzelnen Verfahren konnten zahlreiche Konfliktsituationen bereinigt werden und die Weiterbeschäftigung von Menschen mit Behinderungen sichergestellt werden.

Die Evaluierungsstudie zu den Änderungen des Behinderteneinstellungsgesetzes durch das Budgetbegleitgesetz 2011 hat gezeigt, dass die Lockerung des Kündigungsschutzes (Inkrafttreten des Kündigungsschutzes bei neuen Dienstverhältnissen erst nach vier Jahren) keinen Anreiz für die Erhöhung der Beschäftigungsquote von begünstigt behinderten Menschen dargestellt hat bzw. darstellt, weshalb es angezeigt wäre, die Einschränkungen zurückzunehmen und die Rechtslage vor dem 1.1.2011 wieder herzustellen.

Die genannte Studie zeigt aber auch deutlich auf, dass eine Abkehr vom derzeitigen System der Ausgleichstaxe angezeigt ist, weil

  • Österreichweit angesichts der kleinbetrieblichen Unternehmensstruktur lediglich 2,9 % der Unternehmen beschäftigungspflichtig nach dem BEinstG sind;
    • die Ausgleichstaxe von Arbeitgeber:innen als „Strafsteuer“ empfunden wird, da das derzeitige Vorschreibungssystem im Nachhinein keine Möglichkeit bietet, die „Strafzahlung“ durch rechtzeitiges Reagieren abzuwenden und es auch als ungerecht empfunden wird, dass Arbeitgeber:innen diese auch bezahlen müssen, wenn sie ernsthaft bemüht sind, begünstigte Menschen mit Behinderung einzustellen;
    • der Motivationscharakter der Ausgleichstaxe auf Grund der geringen Höhe äußerst gering ist.

Festzustellen ist auch, dass das Ausgleichstaxensystem in sich nicht schlüssig ist. Die Höhe der Einnahmen des Ausgleichstaxfonds ist davon abhängig, wie viele Pflichtstellen nicht besetzt sind. Im Idealfall würde das bedeuten, dass bei voller Erfüllung der Beschäftigungspflicht dem ATF keine Mittel mehr zufließen und keine notwendigen Fördermittel zur Behindertenbeschäftigung zur Verfügung stehen, was wiederum dazu führen würde, dass begünstigte Behinderte ohne Unterstützung frei gesetzt würden und damit die Beschäftigungspflicht nicht mehr erfüllt wäre.

Darüber hinaus ist das System der Ausgleichstaxe mit einem hohen Administrativaufwand sowohl bei der Behörde als auch bei den Unternehmen behaftet.

Sinnvoll wäre es daher, das derzeitige System der Ausgleichstaxe durch die Einführung eines auf verbreiteter Basis stehenden alternativen Finanzierungsmodells, zum Beispiel in Form eines Behindertenbeschäftigungsbeitrages als Arbeitgeber:innenabgabe von z.B. 0,3 % zu ersetzen. Die Beschäftigungspflicht als reine Messzahl wäre beizubehalten. Dieser Systemwechsel würde einerseits zu einem Wegfall der o.g. negativen Aspekte führen
und andererseits durch die Vergrößerung des bisherigen Ausgleichstaxfondsvolumens bewirken, dass ausreichend Mittel zur Verfügung stehen, um Unternehmen, die ihre Beschäftigungspflicht übererfüllen, sowie Klein- bzw. Mittelbetriebe, die nicht einstellpflichtig sind und trotzdem begünstigte Behinderte beschäftigen, eine Prämie zu gewähren (weg vom Negativimage – hin zum positiven Anreiz!).

Weitere erforderliche Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen

Die im BEinstG vorgesehene Beschäftigungspflicht wird schon seit vielen Jahren nur von rund 25 % der einstellpflichtigen Unternehmen erfüllt. Sehr bedauerlich ist, dass auch der Bund erstmals seit vielen Jahren seiner Einstellpflicht nicht mehr nachkommt und mit Stand Dezember 2023 153 Pflichtstellen unbesetzt waren. Was die Erfüllung der Beschäftigungspflicht in den Ländern betrifft, so fehlt hier ein Überblick, da das Datenmaterial nicht abrufbar ist. Es ist jedoch zu befürchten, dass auch in den Ländern durchaus Aufholbedarf besteht.

Wichtige Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen wären neben der o.g. Änderung des Systems in eine solidarische Finanzierung der Behindertenbeschäftigung:

  • der weitere Ausbau und die Verbesserung von Förderungsmaßnahmen für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen (z.B. Zusammenführung auf eine Förderstelle, das Sozialministeriumservice, längere Zeiträume für Entgeltbeihilfen und andere Erleichterungen für Arbeitgeber:innen bei der Abwicklung dieser Förderungen) sowie die Einräumung eines Rechtsanspruches darauf;
  • die Durchführung von Informationskampagnen zur Sensibilisierung von Arbeitgeber:innen für das Thema Einstellung von Menschen mit Behinderungen verbunden mit der Darstellung von Unterstützungs- und Prämienmöglichkeiten für Unternehmen;
  • im öffentlichen Dienst die Schaffung von Integrationsplanstellen nicht erst, wie beim Bund aktuell üblich, erst ab einem GdB von 60 % sondern bereits ab einem GdB von 50 %, dies zumindest befristet bis die Beschäftigungspflicht erfüllt wird;
  • die Bereitstellung von Maßnahmen der unterstützten Beschäftigung, wie Arbeitsassistenz, Job Coaching und persönliche Assistenz für alle Menschen mit Behinderungen in ausreichendem Ausmaß;
  • die Zurverfügungstellung der notwendigen Ressourcen für behinderungsbedingte Arbeitsplatzadaptierungen und den Einsatz assistierender Technologien;
  • die flächendeckende Bereitstellung und Finanzierung von Gebärdensprachdolmetscheri:nnen am Arbeitsplatz und bei Kurs- und Ausbildungsmaßnahmen;
  • deutliche Positionierung des AMS, dem bei der Unterstützung der beruflichen Integration arbeitsloser Menschen mit Behinderungen eine große Bedeutung zukommt.

Verstärkte präventive Maßnahmen zur Vermeidung von Arbeitsunfähigkeit

Rechtzeitig einsetzende präventive Maßnahmen zur Vermeidung von Arbeitsunfähigkeit durch engere Vernetzung der Krankenversicherung mit den Trägern der beruflichen Rehabilitation und ein Rechtsanspruch auf Maßnahmen der umfassenden Rehabilitation, wären wichtige Maßnahmen für den langfristigen Erhalt der Arbeitsfähigkeit.

Stärkung der Rechtsstellung von Behindertenvertrauenspersonen in den Betrieben

Gut geschulte und engagierte Behindertenvertrauenspersonen in den Betrieben und Dienststellen haben in den vergangenen Jahren unter Beweis gestellt, dass die Inklusion von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt gelebte Realität sein kann. Gefordert wird, die Rechtsstellung der BVP und deren Stellvertreter weiter zu stärken.

Die umfassende Schulung von Behindertenvertrauenspersonen, der sich KOBV, AK, ÖGB und Sozialministeriumservice in den vergangenen Jahren gemeinsam erfolgreich gewidmet haben, soll jedenfalls fortgesetzt werden.

  • Bildung

Eine fundierte Schul- und Berufsausbildung ist die wesentlichste Voraussetzung dafür, dass Menschen mit Behinderungen erfolgreich in die Arbeitswelt integriert werden können und damit ein wichtiger Grundstein dafür, dass Menschen mit Behinderungen
durch Berufstätigkeit ihren Lebensunterhalt verdienen können und damit selbstbestimmt und unabhängig leben können.

Die Zielsetzung, Kindern und Jugendlichen das Recht auf inklusive Bildung tatsächlich und auf allen Ebenen des österreichischen Schulsystems zukommen zu lassen, hat oberste Priorität und sind alle erforderlichen Umsetzungsmaßnahmen zu setzen und die Schulstandorte auch mit den erforderlichen personellen und finanziellen Ressourcen auszustatten. Dazu gehören insbesondere

  • die Inklusion von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen vom Kindergarten, der Pflichtschule bis zu allen Ebenen der höheren Schulen und der Hochschulen;
  • der flächendeckende Ausbau der inklusiven Regionen;
  • das Recht auf Ausbildung muss für Menschen mit Behinderungen mindestens bis zum 25. Lebensjahr bestehen und durch geeignete Maßnahmen unterstützt werden;
  • die Weiterentwicklung von barrierefreien Bildungsangeboten und die Verbesserung der Unterrichtsqualität;
  • die Verbesserung des Fortbildungsangebotes für Lehrer:innen und die Schulaufsicht und der Einsatz von zusätzlichen Lehrkräften;
  • die bestmögliche Förderung von Schüler:innen und Studierenden;
    • die persönliche Assistenz im Schul- und Hochschulbereich unabhängig von der Art der Behinderung;
  • Beratungsangebote für Eltern von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen;
  • Sensibilisierungsmaßnahmen für Eltern von nicht behinderten Kindern und Jugendlichen.
  • Gesundheit und Rehabilitation

Ein gutes Gesundheits- und Rehabilitationssystem ist gerade für Menschen mit Behinderungen von enormer Wichtigkeit, das System der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung ist ein wichtiger und unverzichtbarer Pfeiler dafür.  Der KOBV Österreich anerkennt, dass Österreich über eines der besten Gesundheits- und Rehabilitationssysteme verfügt, merkt jedoch an, dass nach wie vor eine Reihe von Einrichtungen nicht barrierefrei zugänglich sind und das Angebot an barrierefreier Inanspruchnahme (z.B. im Kommunikationsbereich) dringend ausbaubedürftig ist. Überdies ist festzuhalten, dass eine Reihe von Leistungen, die für Menschen mit Behinderungen essentiell sind, nicht als Pflichtleistungen im Anspruchsweg zu erhalten sind und deshalb als freiwillige Leistungen oft aus finanziellen Erwägungen nicht erbracht werden oder darauf wegen nicht leistbarer Selbstbehalte verzichtet werden muss. Grund zur Besorgnis gibt überdies die Tatsache, dass Engpässe im Gesundheitssystem und die damit verbundenen Wartezeiten auf notwendige Untersuchungen und Operationen immer mehr Versicherte dazu drängen, Privatleistungen in Anspruch zu nehmen. Einkommensschwachen Personen, die die dafür notwendigen Mittel nicht aufbringen können, bleibt die notwendige und rechtzeitige medizinische Versorgung vielfach verwehrt. Dieser sehr bedenklichen Entwicklung in Richtung Zweiklassenmedizin ist vehement entgegenzuwirken. Die aktuell nach wie vor bestehenden Engpässe in der Medikamentenversorgung stellen Menschen mit chronischer Gesundheitsschädigung und Behinderungen vor große Probleme und können langfristig schwere Folgen für die Betroffenen haben.

Erforderlich sind nachstehende Punkte:

  • Rechtsanspruch auf Maßnahmen der umfassenden Rehabilitation und bestmögliche Versorgung mit Hilfsmitteln;
  • frühzeitige Klärung des individuellen Rehabilitationsbedarfs und zeitgerechtes Einsetzen der erforderlichen Maßnahmen;
  • Verstärkung der Maßnahmen der Prävention;
  • der Ausbau der flächendeckenden barrierefrei zugänglichen medizinischen Versorgung, u.a. auch durch die Bereitstellung
    und Finanzierung von Gebärdensprachdolmetscher:innen, Schriftdolmetscher:innen, unterstützter Kommunikation, einfacher Sprache, Brailleschrift;
  • die Sicherstellung der Verfügbarkeit von Medikamenten;
  • keine weiteren Selbstbehalte zu Lasten von Menschen mit Behinderungen;
    • die Finanzierbarkeit des gesamten österreichischen Gesundheits- und Rehabilitationssystems langfristig sicherzustellen.

Im Bereich der Organisation der Sozialversicherungsträger ist es wesentlich, dass Menschen mit Behinderungen weiterhin in allen Gremien der Sozialversicherung vertreten sind und damit ihre Expertise in die Entscheidungsprozesse (u.a. Leistungen der Pensions-, Kranken- und Unfallversicherung) einbringen können. Die im Rahmen der Sozialversicherungsorganisationsreform ab Jänner 2020 geltende Abschaffung der Beiräte in den Sozialversicherungsträgern ist daher dringend wieder rückgängig zu machen. 

Pensionen aus dem Versicherungsfall der Invalidität:

Das Ziel der mit 1.1.2014 in Kraft getretenen Reform, Menschen mit Behinderungen aktiv dabei zu unterstützen, in den Arbeitsmarkt (wieder) integriert zu werden bzw. ihnen zu ermöglichen, länger im Erwerbsleben zu bleiben, ist grundsätzlich sehr zu begrüßen.

Die Schaffung eines Rechtsanspruches auf berufliche Rehabilitation bei (drohender) Invalidität mit dem SVÄG 2016 war ein weiterer sehr positiver Schritt in die richtige Richtung. Personen, die bisher noch keine Pflichtversicherungsmonate einer erlernten bzw. angelernten Erwerbstätigkeit oder als Angestellte haben, sind jedoch weiterhin von einem Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation ausgeschlossen, was in keiner Weise sachgerecht ist. Gerade auch für diesen Personenkreis ist es dringend erforderlich, effektivere Maßnahmen zur Festigung und Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit mit dem Ziel der Reintegration in den Arbeitsmarkt zu setzen. 

Der Wegfall des Pensionsvorschusses im gerichtlichen Verfahren wurde bei Personen in aufrechten Dienstverhältnissen durch die Gewährung des Sonderkrankengeldes nach Ablauf der Höchstdauer des Krankengeldanspruches kompensiert, führt jedoch bei Personen ohne Dienstverhältnis immer wieder zu unzumutbaren Härtefällen und zu der grotesken Situation, dass Betroffene ein Gerichtsverfahren zur Durchsetzung ihrer Ansprüche führen müssen, da sie (subjektiv) arbeitsunfähig sind und daher nicht in der Lage sind, eine Arbeit anzutreten, vom AMS jedoch nur eine Leistung erhalten, wenn sie arbeitsfähig und arbeitsbereit sind. Ein Beispiel zur Veranschaulichung der Problematik: Wird  von Seite der PVA das Rehabilitationsgeld mit der Begründung entzogen, dass zwar Arbeitsunfähigkeit besteht, jedoch die Mitwirkungspflicht an den Rehabilitationsmaßnahmen von der Person verletzt wurde, erhält diese Person im Gerichtsverfahren zur Durchsetzung ihrer Ansprüche auf Grund der (auch von Seite der PVA objektivierten) Arbeitsunfähigkeit keine Leistung vom AMS ausbezahlt. Wichtig wäre es daher, den Pensionsvorschuss für die Dauer des gesamten Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Pensionsantrag wieder einzuführen.

Im Interesse der möglichst raschen Reintegration in den Arbeitsmarkt wäre es durchaus sinnvoll, gleichzeitig Maßnahmen der medizinischen und der beruflichen Rehabilitation durchzuführen und sollte ein entsprechender Rechtsanspruch geschaffen werden.

Bei Zuerkennung eines Rehabilitationsgeldes oder eines Umschulungsgeldes kommt es gem. § 15 b AVRAG zu einer ex lege Karenzierung des Dienstverhältnisses. Diese Bestimmung gilt jedoch nicht bei Vertragsbediensteten und bedarf eine entsprechende Karenzierung des Dienstverhältnisses daher einer Zustimmung des Arbeitgebers. Der Abschluss einer entsprechenden Karenzierungsvereinbarung führt in der Praxis immer wieder zu Problemen. Es sollte daher für Vertragsbedienstete eine entsprechende ex lege Karenzierungsregelung geschaffen werden.

Um dem Grundsatz „Arbeit vor Rente“ tatsächlich zum Durchbruch zu verhelfen, wird es aber auch notwendig sein, dass alle beteiligten Behörden (Pensionsversicherungs- Krankenversicherungsträger und AMS) intensiver im Interesse der Betroffenen zusammenwirken.

Darüber hinaus ist es erforderlich, entsprechende Beratungs- und Vertretungsleistungen für Menschen mit Behinderungen, die von Interessenvertretungen angeboten werden, durch Fördermaßnahmen entsprechend finanziell abzusichern.

Zusätzlich sind entsprechende Begleitmaßnahmen zu ergreifen, um Arbeitgeber:innen zu motivieren, (ältere) Menschen mit Behinderungen auch tatsächlich (weiter) zu beschäftigen. Sehr hilfreich wäre es, Fördermaßnahmen für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen grundsätzlich bereits ab 40 % GdB zu gewähren, was auch der Tatsache Rechnung tragen würde, dass es auf Grund der in den letzten Jahren immer restriktiver gewordenen Praxis der Einschätzung des Grades der Behinderung immer schwieriger wird, die 50 % GdB zu erreichen.

Es wird aber auch in Zukunft nicht möglich sein, sämtliche Pensionierungen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit zu vermeiden. Gerade diese Personen sind dann zur existentiellen Absicherung gezwungen, diese Pension anzutreten, ob sie wollen oder nicht. Es ist daher unumgänglich, die Benachteiligungen durch die hohen Abschläge zu beseitigen.

  • Pflege

Schon in der Zweckbestimmung (§ 1) zum Bundespflegegeldgesetz aus dem Jahr 1993 wurde festgelegt, dass das Pflegegeld den Zweck verfolgt, in Form eines pauschalierten Beitrags pflegebedingte Mehraufwendungen abzugelten, um pflegebedürftigen Personen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben führen zu können. Das Prinzip der Geldleistungen durch den Bund in Verbindung mit den Dienstleistungsangeboten der Länder auf dem Pflege- und Betreuungssektor hat sich sehr bewährt. Durch die jahrelange Nichtvalorisierung der Pflegegelder ist es jedoch zu einer starken realen
Abwertung der Pflegegeldbeträge
gekommen, die in Verbindung mit anderen Kostensteigerungen v.a. am Gesundheitssektor dazu geführt hat, dass Pflege für viele Personen schon jetzt vielfach nicht mehr leistbar ist. Die seit 1.1.2020 im Bundespflegegeldgesetz verankerte jährliche Valorisierung des Pflegegeldes mit dem Pensionsanpassungsfaktor war ein erster und wichtiger Schritt für die Verbesserung der Situation von Pflegebedürftigen in Österreich. Der durch die langjährige Nichtvalorisierung entstandene Wertverlust beträgt jedoch bereits
rund 40 %. Es wird daher auch erforderlich sein, in einem weiteren Schritt den entstandenen Wertverlust abzugelten.

Darüber hinaus ist es in Anbetracht der demografischen Entwicklung in Österreich und der Zunahme pflegebedürftiger Menschen von wesentlicher Bedeutung, die Finanzierbarkeit des Systems der Pflegevorsorge langfristig durch konkrete Maßnahmen abzusichern. Die zuletzt mit 1.1.2015 (davor bereits 2011) vorgenommene Verschärfung der Zugangsbestimmungen für Pflegegeldbezieher der Stufen 1 und 2, stellt keinesfalls eine geeignete und schon gar keine sozial vertretbare Maßnahme zur langfristigen Absicherung dar. Die Erhöhung der für den Anspruch auf Pflegegeld der Stufen 1 und 2 erforderlichen Stunden hat sich auch in Verbindung mit einer immer strenger werdenden Vollzugspraxis (sowohl im Bereich der Sozialversicherungsträger als auch bei der Judikatur) als große Hürde für die Erreichung eines Pflegegeldes herausgestellt und damit zu einer massiven Belastung für pflegebedürftige Menschen geführt. Wichtig wäre es daher, den erforderlichen Pflegebedarf in diesen Stufen auf das vor dem 1.1.2011 geltende Niveau zu reduzieren.  

Dringend erforderlich ist es, Maßnahmen zur nachhaltigen Finanzierung des Pflegevorsorgesystems (z.B. verbindliche Festlegung des erforderlichen Steuergeldvolumens im Verhältnis zum BIP; Abgehen vom ausschließlich budgetfinanzierten System zu einem komplementären gesetzlichen Pflegesicherungsbeitragssystem, u.ä.) zu ergreifen. In diesem Zusammenhang wird angemerkt, dass in Österreich zwar Vorsorge für besondere Lebenssituationen, wie z.B. Unfall, Krankheit und Alter getroffen wurde, eine entsprechende solidarische Finanzierung des Risikos der Pflegebedürftigkeit jedoch nach wie vor fehlt.

Notwendige Verbesserungen im Sachleistungsbereich sind

  • die Harmonisierung und Transparenz der Kostenbeiträge bei Inanspruchnahme von Sachleistungen, vor allem auch im Bereich der persönlichen Assistenz und
  • die Weiterentwicklung der Art. 15a BVG-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern in der Pflegevorsorge mit dem Ziel, tatsächlich flächendeckende und bedarfsorientierte Pflegedienste anzubieten, wobei insbesondere auf die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen und deren Angehöriger einzugehen sein wird.

Verbesserungen für pflegende Angehörige

Rund 80 % aller Pflegebedürftigen in Österreich werden von nahen Angehörigen gepflegt. Sie leisten damit einen bedeutenden gesellschaftspolitischen Beitrag, ohne den das Pflegesystem nicht aufrecht zu erhalten wäre. Pflegende Angehörige nehmen oft große Entbehrungen in Kauf, müssen sie doch in vielen Fällen ihre Berufstätigkeit aufgeben oder zumindest reduzieren, um die Pflege bewältigen zu können. Neben den finanziellen Einschränkungen leiden pflegende Angehörige vielfach unter physischen und psychischen Belastungen und es ist wichtig, nachstehende Maßnahmen zur Entlastung zu setzen:

  • bestmögliche finanzielle Unterstützung pflegender Angehöriger;
  • Weiterentwicklung des Angehörigenbonus gem. §§ 21 g und 21 h BPGG durch Gewährung bereits ab Pflegestufe 3 und Entfall der Einkommensgrenze;
  • Ausbau der Angebote für Urlaub und Erholung, Erhaltung bzw. Verbesserung der Gesundheit, psychologische Unterstützung, Information und Sozialrechtsberatung und Unterweisung in pflegerische Tätigkeiten;
  • Entlastung pflegender Angehöriger durch den Ausbau von Tagesbetreuungs-  und Kurzzeitpflegeplätzen sowie mobilen Pflegediensten.

Weitere wichtige Forderungen sind:

  • verstärkte Bemühungen zur Festigung der Gesundheit und der Prävention für Pflegebedürftige, um eine Stabilisierung bzw. eine Verbesserung ihrer Situation zu erreichen;
  • verstärkte Unterstützung durch den Ausbau und die finanzielle Unterstützung rechtlicher Beratungs- und Vertretungsangebote;
  • die weitere Erhöhung der Förderung für die 24-Stunden-Betreuung und Anpassung der Einkommensgrenze, die seit 2007 unverändert besteht sowie die Schaffung von Qualitätsrichtlinien für die Vermittlungsagenturen;

Darüber hinaus wird sich der aktuell bereits bestehende Mangel an Pflegekräften in Österreich in Zukunft weiter verschärfen. Bis 2050 ist mit einem zusätzlichen Bedarf von rund 200.000 Pflegekräften zu rechnen. Es wird daher erforderlich sein, weitere Maßnahmen zu setzen, um die Attraktivität der Pflegeberufe zu steigern und zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen, um einen zukünftigen Pflegenotstand zu verhindern.

5. Menschenrechte und Diskriminierungsschutz, UN-BRK

Verbesserungen des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes

Gefordert wird

  • das Prozesskostenrisiko für die gerichtliche Durchsetzung von Ansprüchen auf Grund einer Diskriminierung wegen einer Behinderung zu beseitigen bzw. zu minimieren;
  • einen umfassenden Rechtsanspruch auf Unterlassung und Beseitigung von Diskriminierungen vorzusehen;
  • eine entsprechende finanzielle Unterstützung für die zur Einbringung einer Verbandsklage legitimierten Organisationen zur Verfügung zu stellen.

Barrierefreiheit

Barrierefreiheit im weitesten Sinn ist eine der Grundvoraussetzungen der gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in allen Lebensbereichen.  Wichtig ist, das Thema Barrierefreiheit verstärkt in das Bewusstsein der öffentlichen Hand, der Wirtschaft und der Bevölkerung zu rücken. Dazu soll/en insbesondere

  • verstärkte Öffentlichkeits- und Informationsmaßnahmen gesetzt werden;
  • Projekte zum Thema Barrierefreiheit gefördert werden und Forschungsprojekte initiiert werden;
  • Barrierefreiheit als Pflichtfach in alle entsprechenden Ausbildungen aufgenommen werden;
  • die vorgesehenen Förderungsinstrumentarien zur Beseitigung von Barrieren fortgesetzt und verbessert werden;
  • die Beseitigung von Barrieren in Gebäuden der öffentlichen Hand forciert werden;
  • die Gewährung von öffentlichen Förderungen mit der Einhaltung der Normen über Barrierefreiheit verbunden werden.

Umsetzung des Pilotprojektes Persönliche Assistenz in ganz Österreich:

Persönliche Assistenz muss allen Menschen mit Behinderungen, unabhängig von Art und Ursache der Behinderung, in einem solchen Ausmaß gewährt werden, dass die Teilhabe in allen Lebensbereichen und bedarfsgerecht möglich ist. Ein Rechtsanspruch auf PA ist einzuräumen und die Finanzierung ist durch die öffentliche Hand sicher zu stellen. Das Pilotprojekt zur PA ist schnellstmöglich auf alle Bundesländer auszudehnen.

Armutsbekämpfung:

Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen finanziellen Einbußen durch Kurzarbeit und Arbeitsplatzverlust sowie die seit Jahrzehnten höchste Teuerungsrate, insbesondere im Bereich der Energie- und Mietpreise, haben armutsgefährdete Personen, darunter zahlreiche Menschen mit Behinderungen, an den Rand ihrer Existenz gebracht. Die staatlichen Unterstützungen zur Abfederung der Krisen waren durchaus hilfreich, weitere Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut sind dringend erforderlich. Dazu gehören:

  • Die Neugestaltung der Mindestsicherung, um allen Menschen in Österreich bundesländerübergreifend nach einheitlichen Richtlinien ein der Menschenwürde entsprechendes Leben zu gewährleisten;
  • leistbare Energiepreise und Mietpreise für Menschen mit geringem Einkommen;
  • leistbare Fahrkarten für öffentliche Verkehrsmittel für einkommensschwache Personen und Menschen mit Behinderungen ab einem Grad der Behinderung von 50 %;
  • Erhöhung der Mobilitätsförderungen für Menschen mit Behinderungen, denen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar ist, wie z.B.

–  die Förderung für die Anschaffung eines Kraftfahrzeuges – eine Förderung
    sollte bei behinderungsbedingter Notwendigkeit auch für Menschen mit
    Behinderungen möglich sein, die nicht im Berufsleben stehen;

– weitere Erhöhung des amtlichen Kilometergeldes: Die Einigung der
Bundesregierung, das Kilometergeld ab 1.1.2025 von 42 Cent (seit 2008 unverändert!) auf 50 Cent pro Kilometer anzuheben ist zwar zu begrüßen, reicht jedoch nicht aus, um die Kostensteigerungen für das Autofahren auszugleichen.

Umsetzung und Weiterentwicklung des Nationalen Aktionsplans Behinderung 2022 – 2030

Die UN-BRK trat in Österreich am 26.10.2008 in Kraft. Am 6. Juli 2022 hat die Bundesregierung im Ministerrat den zweiten Nationalen Aktionsplan Behinderung, den NAP 2022-2030, zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich beschlossen.

Rund zehn Jahre nach der ersten Staatenprüfung wurde Österreich Ende August 2023 vom Fachausschuss der Vereinten Nationen neuerlich hinsichtlich der Umsetzung der UN-BRK geprüft, wobei wieder zahlreiche Mängel festgestellt wurden und Österreich wegen der mangelhaften Umsetzung gerügt wurde. Der Fachausschuss appellierte an Österreich in schriftlichen Empfehlungen konkrete Maßnahmen zu setzen. Diese Empfehlungen müssen bei der Umsetzung des NAP entsprechend berücksichtigt werden.

Sehr wesentlich für eine erfolgreiche Umsetzung ist auch,

  • dass es bundesweit einheitlich koordinierte Maßnahmen auf Bundes- und Länderebene gibt, für die auch ausreichende finanzielle Ressourcen für die Finanzierung der Maßnahmen zur Verfügung gestellt werden;
  • dass regelmäßig eine Evaluierung unter Beiziehung von Expert:innen der Wissenschaft vorgenommen wird und der NAP laufend weiterentwickelt wird.

6. Einschätzung von Behinderung

Die Evaluierung der mit 1.9.2010 in Kraft getretenen Einschätzungsverordnung zur Feststellung des Grades der Behinderung ist dringend fortzusetzen. Die Gesamteinschätzung des Grades der Behinderung erfolgt in einer Vielzahl von Fällen nicht schlüssig und nicht sachgerecht und ist daher die Novellierung des § 3 der Einschätzungsverordnung erforderlich. Notwendig ist die nähere Determinierung, wann bei Vorliegen von mehreren Funktionsbeeinträchtigungen der Gesamtgrad der Behinderung erhöht wird.  

Hinzu kommt, dass die Begutachtungssituation beim ärztlichen Dienst des Sozialministeriumservice nicht zufriedenstellend ist, da einerseits die Ärzt:innen häufig zu wenig Zeit für die Untersuchungen haben und andererseits Fachärzt:innen in zu geringer Anzahl zur Verfügung stehen bzw. manche Fachrichtungen überhaupt nicht vertreten sind. Diese Situation stellt sich auch problematisch bei den Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dar, wo darüber hinaus Ärzt:innen vielfach nicht bereit sind, an den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht teilzunehmen.

Erforderlich ist es daher, den ärztlichen Dienst im notwendigen Ausmaß entsprechend aufzustocken, wobei dafür auch die angemessene Erhöhung der Vergütungen der Sachverständigen notwendig sein wird.

Der Mangel an geeigneten bzw. verfügbaren Sachverständigen führt auch zu einer unzumutbaren Verlängerung der Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Einschätzung des Grades der Behinderung entsprechend der Einschätzungsverordnung entspricht jedoch grundsätzlich nicht der UN-Behindertenrechtskonvention und ist es daher in weiterer Folge wichtig, eine der Konvention entsprechende Einschätzung von Behinderung im Sinne des sozialen Modells zu entwickeln. Erforderlich ist die Entwicklung eines Begutachtungssystems, das den Fokus auf die Fähigkeiten und Ressourcen der Person legt und feststellt, welche Unterstützungsmaßnahmen notwendig sind, um den Einstieg in das Berufsleben individuell zu ermöglichen, wobei ein Rechtsanspruch auf die erforderlichen Maßnahmen eingeräumt werden soll.

7. Steuerrecht

Das österreichische Einkommensteuerrecht anerkennt, dass behinderungsbedingte Ausgaben als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht werden können und sich damit durch Verringerung des zu versteuernden Einkommens steuermindernd auswirken. Dringend erforderlich wäre jedoch eine Anpassung dieser Freibeträge. Die jährlichen pauschalen Lohnsteuerfreibeträge wegen Behinderung (§ 35 Abs. 3 EStG) wurden zuletzt mit 30.10.2019 valorisiert, eine Erhöhung der monatlichen pauschalen Freibeträge zur Abgeltung der Mehraufwendungen wegen Krankendiätverpflegung (§ 2 der Verordnung des BM für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl II Nr. 303/1996 – Höhe seit 1.1.2002 ! unverändert) ist nach wie vor ausständig, wie auch die Valorisierung des monatlichen Freibetrages  für Menschen mit Mobilitätsbehinderung für die Benützung eines eigenen Kraftfahrzeuges (§ 3 Abs. 1 der VO BGBl II Nr. 303/1996 – Höhe seit 1.1.2011! unverändert) und des monatlichen Betrages von € 153,– für Taxifahrten (§ 3 Abs 2 der VO BGBl II Nr. 303/1996 – Höhe seit 1.1.2002 ! unverändert).

Kritisch ist anzumerken, dass Personen, die keiner Steuerpflicht unterliegen, von der Geltendmachung behinderungsbedingter Ausgaben im Steuerrecht ausgeschlossen sind.

Nachstehende Verbesserungen sind erforderlich:

  • Direktzahlungen an Menschen mit Behinderungen, die auf Grund ihres geringen Einkommens behinderungsbedingte Ausgaben nicht steuerlich geltend machen können;
  • Weitere Erhöhung der pauschalen Lohnsteuerfreibeträge und Berücksichtigung der Freibeträge, auch bei Bezug einer pflegebedingten Geldleistung;
    • Erhöhung der monatlichen pauschalen Freibeträge zur Abgeltung der Mehraufwendungen wegen Krankendiätverpflegung, zur Abgeltung der Mehraufwendungen für den Umstand, dass ein Massenbeförderungsmittel nicht benutzt werden kann und des monatlichen Betrages für die Absetzbarkeit von Taxifahrten;

–        für volljährige Erwachsene mit Behinderungen mit einem Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe sollte der Familienbonus in voller Höhe auch über das 18. Lebensjahr hinaus weiter zustehen.

–        die jährliche Einkommensgrenze des (Ehe)partners für die mögliche Berücksichtigung der behinderungsbedingten Mehraufwendungen des (Ehe)Partners als außergewöhnliche Belastungen ohne Selbstbehalt, sollte maßgeblich auf € 12.000,– angehoben werden.

Weiters wird gefordert, die Mitgliedsbeiträge für Behindertenverbände entsprechend den Beiträgen für die freiwillige Mitgliedschaft bei Berufsverbänden und Interessenvertretungen als Werbungskosten anzuerkennen.

8. Bewusstseinsbildung und Information

Die Erfahrungen seit Inkrafttreten des Behindertengleichstellungspaketes am 1.1.2006 haben gezeigt, dass der Bewusstseinsbildung und Information über dessen Inhalte besondere Bedeutung zugekommen ist und sich dadurch die tägliche Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen doch spürbar verbessert hat.

Nach Art. 8 der UN-Behindertenkonvention ist Österreich verpflichtet, das Bewusstsein für Menschen mit Behinderungen zu schärfen und die Achtung ihrer Rechte und Würde zu fördern.

Es gilt daher, insbesondere nachstehende Maßnahmen umzusetzen:

  • umfassende Informationskampagnen über die Inhalte der UN-Konvention und die Rechte von Menschen mit Behinderungen,
    • verstärkte Maßnahmen zur Sensibilisierung für die Anliegen von Menschen mit Behinderungen,
    • Unterstützung von Menschen mit Behinderungen durch Beratung und Information und die Förderung und nachhaltige finanzielle Absicherung der Beratungsdienste, die von Behindertenorganisationen angeboten werden.

Wien, im Juli 2024

KOBV Österreich – Der Behindertenverband
Präsident Franz Groschan
Generalsekretärin Dr. Regina Baumgartl
1080 Wien, Lange Gasse 53
Tel.: 01/406 15 86 – 42
E-Mail: kobvoe@kobv.at

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